Das sonst so selbstsichere Kind will Mamas Hand nicht loslassen und weint bitterlich, sobald sie den Raum verlässt: Die ersten Tage in der Kita oder einem anderen Betreuungsangebot außerhalb der Familie sind nicht nur für die Eltern, sondern auch für das Kind eine stressige und belastende Zeit. Kein Wunder: Mit dem Übergang in die Tagesbetreuung verbringen die meisten Kinder erstmals in ihrem Leben Zeit allein bei fremden Personen. Wir haben Dr. Julia Berkic, Diplom-Psychologin und Mitautorin des Buches „Bindung – eine sichere Basis fürs Leben“, um Tipps für eine reibungslose Eingewöhnung gebeten.

Worauf sollten Eltern bei der Wahl der Kita achten?

Dr. Julia Berkic: Ob ein Kind sich in einer neuen Umgebung wohlfühlt, hängt maßgeblich davon ab, ob es dort eine oder mehrere Personen gibt, die ihm vertraut sind und an die es sich bei Überforderung, Kummer oder Unwohlsein wenden kann – und ob diese dann feinfühlig auf seine Signale und Bedürfnisse eingehen können. Damit ist das wichtigste Kriterium bei der Wahl einer Tagesbetreuung, dass es mindestens eine beständige Beziehung gibt, die als Orientierungszentrum, Zuflucht und Sicherheitsbasis dient, und somit eine vertraute Person, die bereit und verfügbar ist, das Kind bei Leid und Unsicherheit prompt und nachhaltig zu beruhigen oder zu entlasten.

Psychologin Dr. Julia Berkic
Psychologin Dr. Julia Berkic

Welches Alter ist optimal für den Übergang in eine Tagesbetreuung?

Dr. Julia Berkic: Die meisten Eltern können nicht ganz frei wählen, wann sie mit einer außerfamiliären Betreuung für ihr Kind starten möchten, sondern sind an äußere Rahmenbedingungen gebunden. Je nach Alter des Kindes kann man jedoch unterschiedliche Aspekte berücksichtigen.

Welche Aspekte sind das – oder anders gefragt: Worauf kommt es in den einzelnen Entwicklungsphasen des Kindes besonders an?

Dr. Julia Berkic: Im ersten Lebensjahr bauen sich die ersten Bindungsbeziehungen des Kindes auf, weshalb eine lange und regelmäßige außerfamiliäre Betreuung in dieser Zeit grundsätzlich nicht empfehlenswert ist. Falls es nicht anders geht, wäre eine individuelle Betreuung durch eine Tagesmutter, einen Tagesvater oder eine sogenannte Nanny, die in der Familie lebt, einem Gruppensetting wie in der Krippe unbedingt vorzuziehen. Da Babys in den ersten Monaten noch kurze Schlaf- und Wachphasen haben und häufig Hunger und Durst verspüren, wird ihr Bindungsverhaltenssystem in kurzen Abständen durch Müdigkeit, Aufwachen, Hunger, Durst oder Verdauungsbeschwerden aktiviert. In einem familiennahen, individuellen Kontext kann man meist besser auf diese noch sehr starken Regulationsbedürfnisse des Babys eingehen.

 Zwischen dem sechsten und dem achtzehnten Lebensmonat ist die Trennungsangst bei den meisten Kindern sehr stark ausgeprägt. In dieser Phase wird das Bindungssystem durch fremde Personen und Umgebungen besonders leicht aktiviert. Das Kind braucht noch Körperkontakt zu einer Bindungsperson, um sich wieder beruhigen zu können, und die Gewissheit, dass diese Person verlässlich verfügbar ist. In diesen sensiblen Zeitraum fällt häufig der Übergang in eine außerfamiliäre Betreuung. Deshalb muss das Kind ausreichend Zeit haben, die neue Bezugsperson im Beisein von Mutter oder Vater kennenzulernen.

 Wichtig ist zudem gerade bei Kindern, die noch nicht sprechen können, dass sich die Eltern regelmäßig mit den Betreuern austauschen – das Kind kann ja noch nicht selbst erzählen, was in den letzten Stunden passiert ist, ob es vielleicht gestürzt ist oder Bauchweh hatte. Eltern sollten sich ruhig trauen nachzufragen und auch nicht zögern selbst zu erzählen, wenn die Nacht unruhig war, ein neuer Zahn kommt oder ein Entwicklungsschritt ansteht.

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Ab wann fällt dem Kind eine zeitweise Trennung von den Eltern leichter?

Dr. Julia Berkic: Zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag entwickeln die allermeisten Kinder ein Interesse am Zusammensein mit anderen Kindern, weshalb ab diesem Alter auch eine Gruppenbetreuung zum Beispiel in einer Kita durchaus ein Gewinn sein kann. Eine langsame und behutsame Eingewöhnung und eine kontinuierliche Beziehungsgestaltung sind aber ebenso wichtig wie zu einem früheren Zeitpunkt. Auch Kinder im dritten Lebensjahr geraten noch sehr häufig in Überforderungssituationen, weil das „Wollen“ und das „Können“ nicht zusammenpassen. Sie brauchen deshalb im Tagesablauf noch oft verlässliche emotionale Unterstützung durch eine Bezugsperson. Im zweiten und dritten Lebensjahr sollte der Umfang der außerfamiliären Betreuung auch auf jeden Fall so angelegt sein, dass genug Zeit für intensive Zuwendung durch die Eltern verbleibt.

Haben Sie Tipps, wie Eltern den Übergang in eine außerfamiliäre Betreuung möglichst reibungslos gestalten können?

Dr. Julia Berkic: Zunächst einmal: Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Für einige Kinder ist der Übergang in eine außerfamiliäre Betreuungsform kein großes Problem. Es gibt jedoch auch schüchterne oder sehr sensible Kinder, denen dieser Übergang nicht ohne Weiteres gelingt. Bleiben Sie daher flexibel und reagieren Sie feinfühlig auf die Signale Ihres Kindes. Es wird Ihnen zeigen, wie viel Fremdbetreuung es wann aushalten kann.

Achten Sie auch auf Ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Viele Mütter erleben die außerfamiliäre Betreuung ihres Kindes als Möglichkeit, wieder in den Beruf zurückzukehren. Andere hingegen genießen es, während der ersten Lebensjahre ihres Kindes zu Hause zu bleiben oder nur stundenweise zu arbeiten. Und viele Familien haben hierbei ohnehin keine große Wahl. Versuchen Sie trotzdem, alle Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten in Erfahrung zu bringen und zu beleuchten. Auch hier gilt: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Vertrauen Sie Ihrem Gefühl und suchen Sie nach der Lösung, die für Sie als Familie am besten passt. Jedes Kind ist anders.

 Schließlich: Lassen Sie Ihrem Kind Zeit, um neue Bezugspersonen kennenzulernen und diesen zu vertrauen. Ideal ist es, wenn Sie diese Eingewöhnungszeit den Bedürfnissen und dem Tempo Ihres Kindes anpassen. Dies ist im Spagat zwischen Familie und Beruf nicht immer leicht umzusetzen, aber für alle Beteiligten – auch den Arbeitgeber – eine Investition in die Zukunft. Denn: Ein gründlich und sorgsam eingewöhntes Kind wird im weiteren Betreuungsverlauf weniger emotionale „Einbrüche“ haben und gern in die Kita gehen.

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Woran erkennen Eltern, ob die Eingewöhnung erfolgreich war?

Dr. Julia Berkic: Ein klares Anzeichen für eine gute Eingewöhnung ist, wenn das Kind bei Belastung und Stress bei der Erzieherin oder Tagesmutter Trost sucht. Gleiches gilt, wenn es sich in Überforderungssituationen oder bei Müdigkeit von der Betreuungsperson auf den Schoß nehmen und trösten lässt. Und ein gutes Zeichen ist es auch, wenn das Kind sich für die Räume, Materialien und Spiele in der Kita interessiert und aktiv am Alltag dort teilnimmt. Sind diese Faktoren gegeben, spricht alles dafür, dass das Kind den neuen Lebensabschnitt mit Freude erleben wird.

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